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Bei Thema Selection zeigt Sissi Zoebeli ihre Kollektion: moderne Kleider und Strick von sorgfältiger Machart und aus ausgesuchten Materialien. Sie ergänzt das Angebot mit hochwertiger Sportswear aus Italien, Grossbritannien, Irland, Japan und den USA. Im Shop-in-shop sind die wunderbaren Seiden-, Woll- und Baumwolltücher von Sonnhild Kestler im Angebot. Sie werden in aufwändigem Hand-Siebdruck hergestellt. Kleider sind in ihren Stoffen ebenfalls erhältlich. Die Kollektion beinhaltet ausserdem Frottétücher, handbestickte Kissen und handgewobene Kelims. Ausgewählte Schuhlabels, Fotoausstellungen und eine Modebibliothek runden das vielseitige Angebot ab.

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Thema Selection Sissi Zöbeli Kollektion, SK Handdruck Sonnhild Kestler, Roberto Collina Kollektion, Arthur David, Rosa Mosa Schuhe Wien, Friulane Hausschuhe, Annapurna Cashmere, Inis Meain Strick, Stefi Talman Schuhe, Peter Scott Cashmere, Christa Michel Strick, Mackintosh Outerwear, Heinrich Brambilla Kollektion, John Smedley Strick, Gloverall Cloathing, Franziska Luethy Strick, Serena Floersheim, Haversack Japan, Schott USA, Trickers London, Felisi Ferrara.

Gespräch mit Elisabeth Bronfen, Martin Jaeggi und Sissi Zoebeli. Erschienen in «Female Chic – Geschichte eine Modelabels», Edition Patrick Frey 2015

Elisabeth Bronfen: Sissi, wie findest du deine Stoffe? Und welche Ideen lösen Stoffe bei dir aus?

Sissi Zoebeli: Es gibt eine grosse Hilfe – die Messen. Dort trifft man auf eine Unzahl von Menschen aus einem Umfeld, das sich seit Jahrhunderten mit Stoffen beschäftigt. In der Mode geht alles nach einer Folge. Man könnte grob und unsentimental sagen, dass Mode das Füllen einer Abfolge von Marktlücken ist. Die Stoffhersteller sind uns dabei fast vier Saisons voraus. Messen sind Inspiration pur. Wie man aussucht und gewichtet an einer Messe, hängt davon ab, welches Segment man bearbeitet – ob sportlich, im Abendsektor, in der Unterwäsche, im Jeansbereich oder ob man auf sexy und jung macht. Das ist an einer Messe ziemlich abgesteckt. Ich gehe jeweils zu den originals, den alten Engländern und Irländern, zu den Franzosen aus Lyon für Seide und Spitze, zu den Italienern, weil sie am modischsten sind, und zu den Japanern, weil sie noch modischer sind – sie kopieren alles und treiben es auf die Spitze. Eigentlich könnte man sich bei den Japanern vollständig eindecken, denn sie machen alles und davon nur das Interessanteste. Es ist allerdings schwierig, mit den Japanern zu arbeiten, weil sie hohe Mindestabnahmemengen verlangen.

EB: Du sagst «das Interessanteste», was ist das für dich?

SZ: Ich bin modisch interessiert, ich schaue mir immer das Neueste an, ich interessiere mich für neue Materialien und Farben. Ich habe keine festen Vorstellungen im Kopf, wenn ich an eine Messe gehe, ich mache den Mix nachher. Ich schaue mir zuerst die News an, dann gehe ich zu meinen alten Lieferanten.

Martin Jaeggi: Wie lange arbeitest du schon mit deinen Lieferanten zusammen?

SZ: Teilweise seit 1972, Ursula [Rodel] hat damals schon mit einigen von ihnen gearbeitet. Die Italiener haben sich teilweise gegenseitig aufgekauft. Mein Lieblingsitaliener wurde von Loro Piano übernommen. Garrigue beispielsweise gibt es seit dreissig Jahren. Sie halten sich auf dem Laufenden, indem sie mit Modeschulen zusammenarbeiten. Bei Garrigue arbeiten ständig Absolventen der St. Martins School of Design.

EB: Mir scheint, du hast eine Palette an Modellen und Entwürfen und entwickelst dann ungewöhnliche Kombinationen. Du verwendest für einen Jupe oder einen Blazer Stoffe, die man nicht erwarten würde – wie beispielsweise Fallschirmseide für ein Kleid oder einen zu dicken Stoff für eine Hose. Ist es Teil des Konzepts, dass die Formen gleichbleiben, aber die Stoffe sie zu etwas Neuem werden lassen?

SZ: Du hast die Antwort gleich selbst gegeben. Ich inszeniere bewusst sogenannte «Fehler», obwohl das eine teure Übung ist, weil dabei viel Abfall anfällt. Ich nehme eine Form, an der ich nicht viel verändern muss, ausser dass ich sie vielleicht den heutigen Massen anpasse, und setze sie dann in einem «unpassenden» Stoff um. Manchmal sogar gegen meine Überzeugung. Vieles ist unbrauchbar, aber manchmal gibt’s eine verrückte Überraschung. Harris Tweed mit Unterwäschespitze ist beispielsweise eine interessante Angelegenheit. Ich baue immer wieder auf solchen Brüchen auf, das ist ein alter Trick. Viele können das nicht machen, weil sie in Serien, in grossen Mengen arbeiten. Ich hingegen arbeite mit Mengen wie früher die Couturiers und kann es mir somit leisten, so etwas auszuprobieren.

MJ: Wählst du Stoffe mit einem bestimmten Kleid im Hinterkopf aus, oder kaufst du sie, einfach weil sie dich faszinieren?

SZ: Halb, halb. Wenn ich im Sommer neue Modelle bringe, schaue ich, ob ich sie im Winter weiterziehen kann. Oder ob ich sie auf den nächsten Sommer hin ein wenig überarbeiten muss. Für diese bestehenden Formen lasse ich mich vom Angebot anregen. Ich habe schon eine ganze Sommerkollektion für den Winter in neuen Stoffen gemacht, das war sehr witzig. Oder beispielsweise eine Idee für einen dicken Kaschmirmantel, der jedoch zu teuer werden würde, und nach einem interessanten Ersatz gesucht.

EB: Hast du eine Vorstellung von den Frauen, für die du Kleider machst?

SZ: Normalerweise haben Modemacher Musen, ich habe das nicht. Ich denke an meine Kundinnen, ich probiere die Sachen an mir selbst aus. Wenn eine junge Frau im Laden arbeitet, die einem gewissen Durchschnitt entspricht, stelle ich mir diese darin vor. Ich mag Kleider, die praktisch und kompatibel sind.

EB: Du sagst «praktisch», aber so praktisch sind deine Kleider oftmals gar nicht. Materialien wie Stretch, die wirklich praktisch sind, lehnst du ab, harte Stoffe hingegen interessieren dich.

SZ: Selbst eine Spitze oder ein hauchdünner Stoff muss mit groben Sachen kombiniert tragbar sein. Auch bei ganz verwöhnten Sachen denke ich immer an die Tragbarkeit. Sachen, die nicht funktionieren, interessieren mich nicht.

EB: Ich würde trotzdem behaupten, dass es eine Mischung ist – tragbar im Arbeitsalltag, aber mit ungewöhnlichen, spielerischen Elementen. Mein Eindruck ist, dass dein Sektor die arbeitende Frau ist, die elegant sein will und diese kleinen Details schätzt, die, wenn man den Blick dafür hat, zu entdecken sind.

SZ: Ich habe das Glück, dass ich interessante Kundinnen habe, oft aus dem Bildungsbürgertum. Es sind keine Modeopfer, sondern Frauen, die etwas für sich entdecken wollen und das gerne unter meiner Anleitung tun. Sie sind offen, weil sie auf der ganzen Ebene modern sind und mit Kleidern anders umgehen als gemeinhin üblich. Meine Kundschaft eignet sich gut für solche Experimente, weil sie in ihren Kleidungsge­wohnheiten nicht zu festgefahren ist.

MJ: Entwirft man anders, wenn man einen Laden führt, die Kundinnen kennt und berät? Es ist gewissermassen ein Labor, in dem man die Kundinnen beobachten kann. Verändert dies das Kleidermachen?

SZ: Die Couturiers haben ihre Kundinnen auch alle persönlich gekannt. Sie haben sie in den Unterhosen gesehen bei den Anproben. Ich habe gewissermassen dieselbe Situation in einem grösseren Rahmen. Ich kenne meine Kundinnen wirklich sehr gut. Zu mir kommen die besonders modeinteressierten Frauen, auch solche, die zwar gerne meine Kleider kaufen würden, es sich aber nicht leisten können, und trotzdem kommen sie, um sich zu informieren und mit mir zu reden. Ich bin in einer privilegierten Situation. Wenn man nicht unbedingt sehr reich werden will mit seiner Arbeit, kann man diese kleinen Schritte pflegen. Die Multiplikation würde dies jedoch verunmöglichen.

EB: Hast du Vorbilder – öffentliche Figuren oder Modemacher? Wo dockst du hier an in Bezug auf die Haltung?

SZ: Schon eher bei den Modeprofis, den Klassikern, aber auch bei den Jüngeren. Alexander McQueen interessiert mich ebenso wie Claire McCardell.

MJ: Was fasziniert dich an der 1958 verstorbenen Amerikanerin Claire McCardell?

SZ: Claire McCardell hatte etwas, was die Europäer zu jener Zeit nicht hatten. Sie war sehr praktisch, weil sie unter anderem für Versandkataloge entwarf – trotzdem erfand sie laufend neue Dinge. Sie musste vor allem mit Baumwolle arbeiten, weil es während des Kriegs nicht viel anderes gab. Sie war gescheit, kultiviert und interessierte sich für Architektur. Sie entwickelte einen modernen Mix, den ich in Europa, ausser bei Chanel, in den Vierzigerjahren nicht sehe. Wenn Männer für Frauen arbeiten, sind sie in der Regel opulenter. Entscheidend war auch, dass McCardell Sport trieb, wie überhaupt die amerikanische Frau in den Vierzigerjahren schon viel athletischer war als die Europäerin. Sie war grösser, hatte kurze Haare und war gebräunt. Christian Dior wurde ausgelacht, als er während des Zweiten Weltkriegs nach New York kam und seine Kollektion zeigte, die Amerikaner fanden sie tantig. McCardell entwarf dagegen keine Couture und stattete keine Filme aus wie Adrian und Edith Head, sondern pflegte einen viel pragmatischeren Zugang zur Mode.

MJ: Entwerfen Frauen für Frauen anders als Männer für Frauen?

SZ: Erstaunlicherweise sind die Kleider, die Frauen für Frauen entwerfen, viel praktischer. (Lachen) Frauen denken an sich – ihren Kreis, ihre Bewegungen, ihren Tagesablauf.

EB: Wie bist du dazu gekommen, Mode zu machen? Aus welchem Umfeld kommst du?

SZ: Ich gehöre zur Generation, die in dem wunderbaren Buch über Yves Saint Laurent und seinen Kreis, The Beautiful Fall, beschrieben wird. Ich war jung, als diese Leute jung waren. Diesem spezifischen Klima, das dort umrissen wird, sind wir von hier aus nachgereist. Prêt-à-porter wurde in den Siebzigerjahren erfunden – weg von der Couture, hin in die Breite. Ansonsten habe ich mich einfach immer für Mode interessiert, Ursula auch. Alle, die in der Mode tätig sind, werden dir das sagen. Ich habe meine Puppen angezogen, Jean Paul Gaultier seinen Teddybären. Ich zeichnete immer Leute in Kleidern, nichts anderes. Du brauchst dieses Interesse in diesem Metier, sonst verzweifelst du. Es treibt dich an. Dann habe ich von meiner Mutter wohl eine gute Dispo­sition mitbekommen. Sie konnte mir als Kind nicht einfach irgendwas anziehen. Wenn ich etwas nicht tragen wollte, schrie ich wie am Spiess. Es war für meine Mutter wirklich ein wenig problematisch. Sie musste abends ein Kleid waschen und zum Trocknen auf die Heizung legen, weil ich nur dieses eine Kleid tragen wollte.

EB: Du hast über die Siebzigerjahre gesprochen. Deine Mode steht auch in einem Zusammenhang mit Kunst, mit der Kunstszene Zürichs. Du verstehst dich als Teil eines Gesprächs über Kunst.

SZ: Zürich war in den Siebzigerjahren sehr konzentriert. Alle, die frei gearbeitet haben – ob sie nun geschrieben, gemalt, Musik oder Mode gemacht haben –, verkehrten an einigen wenigen Orten. Dies ist der Vorteil einer kleinen Stadt – es durchmischt sich alles, ich habe diese Leute automatisch regelmässig gesehen.

EB: Kannst du einige Namen nennen?

SZ: Anton Bruhin, Walter Pfeiffer, Friedrich Kuhn, Art Ringger, Heidi Bucher, Roswitha Kuhn, Bigna Corradi und natürlich Bice Curiger, weil sie im selben Jahr geboren ist wie ich. Aber auch das Theater war wichtig. Peter Stein war in Zürich, wir rannten alle ins Living Theater und an die ersten Theaterspektakel. Modisch war jedoch nicht viel los.

MJ: Modemacher gab es zu dieser Zeit in der Schweiz kaum, abgesehen von Fred Spillmann in Basel.

SZ: Die ersten Läden, die Prêt-à-porter führten, waren Grenier und Löw, sie führten Cacharel und Sonja Rykiel. Walter Pfeiffer war damals Schaufensterdekorateur bei Grenier. Ursula entwarf für den neu eröffneten Globus Accessoires. Man musste nach London, Mailand oder Paris reisen, um Fiorucci-Teile zu kaufen. Es war normal, zweimal im Jahr nach London zu reisen, zwei- , dreimal pro Saison nach Mailand, denn hier gab’s kaum etwas.

EB: Heute ist das anders, Zürich ist bekannt für eine gewisse Art von Mode, ob man die nun mag oder nicht. Du kommst aus einer Zeit, wo das noch überhaupt nicht der Fall war.

SZ: Nein, das war die Adenauer-Ära (lacht).

EB: Und die war in der Schweiz wohl nicht viel lustiger als in Deutschland.

SZ: Nein, wirklich nicht. Allerdings habe ich unser Problem schnell erkannt, als ich 1972 die Einladung zur Eröffnung an unsere 250 Freunde versandte und dabei feststellte, dass unsere Freunde eigentlich keine Kohle hatten. Die Leute, die uns unterstützten, waren Hausbesetzer und Künstler, die sich unsere Kleider nicht leisten konnten.

MJ: Wer waren denn dann eure ersten Kundinnen?

SZ: Es war ganz übel – es war der CH-Jetset. Der Jetset reiste und kannte Fiorucci und die Carnaby Street. Es waren Zahnarztgattinnen, Leute, die mit unseren Freunden nichts zu tun hatten.

MJ: Wie kamt ihr an die ran?

SZ: Wir eröffneten unseren ersten Laden zwei Minuten vom Odeon entfernt, dort war der grosse Löw mit den Prêt-à-porter-Marken. Und wir hatten irrsinnig viel Presse, denn dort kannten wir wiederum Leute. Niemand wollte es auf sich sitzen lassen, uns nicht besucht oder unterstützt zu haben.

EB: Über die Jahre wurden dann die Hausbesetzerinnen zu Direktorinnen und Professorinnen.

SZ: Das dauerte zwanzig Jahre – die wir mit Zahnarztgattinnen überbrücken mussten.

MJ: Hattest du zu den Zahnarztgattinnen ein so enges Verhältnis wie zu den Kundinnen heute?

SZ: Ich war ihnen unglaublich dankbar. Ich war damals noch keine professionelle Verkäuferin und habe kaum gewagt, unsere Preise laut auszusprechen, während diese Frauen so locker mit ihrer Kohle umgingen, dass mir der Mund offenblieb. Aber ich lernte ziemlich schnell.

MJ: Wer hat damals den Verkauf gemacht?

SZ: Ich alleine, mit 22 Jahren. Elisabeth [Bossard] kam erst zwei Jahre später dazu. Sie kam von Saint Laurent und brachte von dort natürlich sehr viele Zahnarztgattinnen mit. Sie war aber so liebenswert, dass sie mich nicht erdrückte, sondern sogar instruierte. Sie war eine Bombe im Laden.

EB: Ich möchte nun noch zwei weitere Fenster öffnen – ich würde gerne über deinen Polizistenvater sowie den Feminismus und die linke Politik sprechen. Können wir mit dem Vater beginnen?

SZ: Mein Vater, der heute noch lebt, war ein sehr schöner Mann, ein wenig jünger als meine Mutter und nicht sehr nervenstark. Meine Mutter war eine Bauerntochter aus dem Welschland, die älteste von neun Kindern, eine sehr fröhliche, gescheite Frau. Sie hielt das Ganze zusammen. Vielleicht haben mich die Uniformen, die er trug, modisch geprägt. Er hatte von seiner Mutter, einer Couture-Schneiderin, einen sehr guten Geschmack mitbekommen. Es gibt Fotos aus der Zeit, als ich ein Bébé war, auf denen er einen Nadelstreifenanzug, ein gestreiftes Hemd, eine schmale Krawatte und Brogues trägt. Ich weiss nicht, wie er’s bezahlt hat, aber vom Geschmacklichen her bin ich seiner Familie verpflichtet. Und auch die Uniform hat sich festgesetzt, obwohl ich sie damals eher bedrohlich fand – wunderschöne Stiefel und Schuhe, wunderschöne Leder- und Regenmäntel. Er war Kantonskriminalpolizist in Zivil, Uniformen trug er nur zu speziellen Anlässen.

MJ: Wie haben deine Eltern reagiert, als du anfingst, Mode zu machen?

SZ: Ich war die Erste in einer Familie mit 19 Cousins und Cousinen, die eine Mittelschule abgeschlossen hat. Ich wollte in die Kunstgewerbeschule, mein Vater erlaubte mir freilich nur wissenschaftliches Zeichnen. Woraufhin ich aus Protest ein Jahr nach Italien ging und Italienisch lernte. Als ich zurückkehrte, tastete ich mich vor, arbeitete temporär, absolvierte ein Volontariat als Planungszeichnerin im Architektur­büro Steiger. Und dann sprach mich Ursula an. Da war das bereits kein Thema mehr zwischen mir und meinen Eltern, da ich schon 21 war.

MJ: Wo hat Ursula dich angesprochen?

SZ: Ich kannte ihre Freundin, wir wuchsen zusammen auf dem Lande auf. In den besetzten Häusern an der Venedigstrasse traf ich diese Freundin wieder, die nun mit Ursula zusammen war. Für Ursula war ich die Versinnbildlichung einer Mode und eines Ausdrucks, die sie bewunderte, die sie jedoch für sich als lesbische Frau nicht ausleben konnte oder wollte. Ich trug eine Knabenfrisur und Herrenanzüge, Fischgrätmäntel aus dem Brockenhaus, grosse Männerschuhe und Hemden. Es war allerdings nicht Ausdruck eines Lebensgefühls, sondern für mich einfach Mode. So begegnete ich ihr, und sie fragte mich, ob ich im Laden mitmachen möchte, obwohl sie viel professioneller war und über sehr viel mehr Kontakte verfügte. Das freute mich sehr, machte mir aber zugleich Angst, denn ich hatte keinerlei Vorbildung in diese Richtung.

EB: In dieser Zeit war es sehr ungewöhnlich, sich so zu kleiden. Zehn Jahre später, in den Achtzigerjahren, mit Punk und Madonna, war es ein Trend, Männerkleider zu tragen, aber Anfang der Siebziger, als Flower-Power am Auslaufen war, scheint mir dies sehr avantgardistisch.

SZ: Alle, die was mit Mode am Hut hatten, haben das gemacht. Wir haben alle nur Dreissiger- und Vierzigerjahre-Filme geguckt, die damals unbekannt waren. Wir entdeckten Douglas Sirk. Das war nicht meine Erfindung – Daniel [Schmid], This [Brunner], Ursula, Walter [Pfeiffer] waren ebenso angefressen. Es war eine starke Tendenz, man muss nur an die Saint-Laurent-Kollektion von 1971 denken, die auf die Kleider der Vierzigerjahre verwies. Innerhalb der Profiszene war ich kein Vorreiter, da waren alle auf diesem Trip.

EB: Ich hätte trotzdem gerne, dass du noch etwas zum Feminismus sagst, der für dich ja wichtig ist. Inwiefern spielte der in diese Mode rein?

SZ: Mein eigener Feminismus war etwas sehr Organisches, für mich gab es keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Ich hatte keinen Busen und trug sowieso immer Hosen. In der Zeit, als ich zu denken begann, mit 16 Jahren, waren alle Leute, die ich interessant fand, so drauf. Ich kaufte mit 16 Jahren mit einem gefälschten Rezept die Anti-Baby-Pille, aber das war nicht ungewöhnlich in meinen Kreisen. Feminismus begann für mich mit Abtreibung und Empfängnisverhütung, sein eigenes Geld zu verdienen, nicht heiraten zu müssen, um eine Wohnung mieten zu können, den Büstenhalter abzulehnen. Frau war tagtäglich mit Einschränkungen konfrontiert.

MJ: Du hast dich aber auch im politischen Feminismus engagiert.

SZ: Niemand, der intelligent war, war damals nicht links. Natürlich lebten wir in einer Kapsel, aber das reichte, denn die Vielfalt der Menschen innerhalb der Kapsel war gross genug. Ich war angstfrei, kümmerte mich nicht darum, dass ich keine grosse Unterstützung hatte. Einige gute Freunde, die interessante Sachen machten, genügten mir.

MJ: Inwiefern ist deine Mode auch ein politisches Statement?

SZ: Das politische Statement liegt darin, dass ich mir meinen eigenen Arbeitsplatz geschaffen habe, nicht in der Mode per se. Wenn ich einen Hochschulabschluss gemacht hätte, wäre ich wohl in der Architektur gelandet, ich hätte in jedem Fall etwas Gestalterisches gemacht. Mode war das Naheliegendste, ich machte einfach, was sich ergeben hatte. Das Wichtigste schien mir, dass ich morgens nicht frustriert das Haus verliess, dass ich meinen Arbeitsplatz ebenso liebte wie meine Wohnung, dass ich erst um zehn Uhr zu arbeiten begann.

MJ: Du hast dich selbstständig gemacht, das hiess auch, dass du lernen musstest, ein Geschäft zu führen. Wie lange dauerte dieser Prozess?

SZ: Es war alles lernbedürftig. Ich kann heute eine Bilanz lesen und einen Betrieb analysieren, habe Spass daran gekriegt. Es war learning by doing. Erst geht dir drei- oder viermal etwas in die Hosen, dann willst du’s richtig machen und machst deinen Schnittgrundkurs, greifst zu deinen Materialkundebücher und studierst Gewebe, redest auf den Messen mit Leuten. Nach zwanzig Jahren hast du dann diese Lehre abgeschlossen. Ich musste Dutzende Male harte Gespräche mit Banken führen, Budgets erklären, mit oder ohne Verwaltungsrat an meiner Seite. Da musst du dich schon ein wenig informieren, denn es geht um ziemlich viel Geld.

EB: Mode ist eine Mischung von etwas sehr Praktischem, auch Wirtschaftlichem, das aber verbunden ist mit der Notwendigkeit, sich inspirieren zu lassen für das, was man schöpfen will. Die Balance muss aufrechterhalten werden.

SZ: Da kommt etwas stark Triebhaftes hinzu. Man muss sich ja mit irgendetwas unterhalten, und wenn sich das mit der Arbeit verbinden lässt – umso besser.

EB: In dieser Hinsicht ist Mode viel näher am Unterhaltungskino als an der Kunst. Sie muss in die Zeit passen, schnell auf die Zeit reagieren, und sie muss kommerziell funktionieren.

SZ: Das Geschäftliche ist wichtig. Ein Kleid muss einen Endpreis haben, den zu zahlen der Kunde bereit ist. Du musst von Anfang an wissen, wie viel es kosten darf, sonst kauft’s niemand. Du musst von hinten beginnen. Das muss dir Spass machen, sonst wirst du wahnsinnig.

EB: Das ist auch das, was viele am Kommerzkino nicht verstehen: Es geht um Kompromisse. Man hat eine Vision, gegebenenfalls auch ein Zielpublikum, dann muss man sich überlegen, wie diese Vision unter den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und innerhalb der technischen Möglichkeiten verwirklichbar ist. Ich möchte jetzt aber nochmals auf die Uniformen zurückkommen und weshalb diese dir so wichtig sind.

SZ: Ich habe Männermode und praktische Kleider nicht aus Überzeugung gefördert. Als wir anfingen, waren Männerkleider für Frauen sehr in Mode – all diese aufgesetzten Taschen mit Falten, die verdeckten Knopfleisten, die gepolsterten Schultern, die Hornschnallen an den Gürteln, die Lederknöpfe, Bundfaltenhosen, Popelinehemden statt Seidenblusen. Dann kamen die Overalls, das Modetextil schlechthin in den späten Siebzigerjahren. So wie bei den Feministinnen Osh-Kosh-Latzhosen Mode waren, trugen die modebewussten Frauen damals Overalls. Ich muss hinzufügen, dass es mir die Feministinnen übelnahmen, dass ich mich so sehr für Mode interessierte. Da nützte es nichts, dass ich mich für Männermode interessierte – das war trotzdem einfach nur Mode. Mir wurde vorgeworfen, mich interessiere so etwas Triviales wie Mode mehr als wirkliche gesellschaftliche Arbeit. Das war ein Überbau-Luxus, der viel mehr kostete, als nötig war. Bei denen gab’s nur Latzhosen, Overalls und T-Shirts. Das T-Shirt gibt es übrigens erst seit den Siebzigerjahren – wir mussten damals Unterhemden mit Textilfarbe einfärben. Es gab weder Jeans noch Turnschuhe noch T-Shirts.

EB: Ich sehe hier einen gewissen Widerspruch. Wenn du sagst, alle Frauen sollen einen Hosengürtel tragen, leistest du Überzeugungsarbeit. Es geht um eine sehr ernste Auseinandersetzung mit Formen, um einen Glauben an gewisse Formen. Das läuft eigentlich dem zuwider, was in den Siebziger- und Achtzigerjahren durch linke Politik und Feminismus in unseren Lebensalltag übergegangen ist. Dieses Festhalten an Formen wurde damals als bürgerlich wahrgenommen und abgelehnt.

SZ: Das war in dieser Zeit aber einigermassen erträglich, denn Parkas, Jeans, T-Shirts waren modern. Die ganze Lockerung tat auch mir gut. Das Problem begann erst, als die modische Tendenz drehte, da konnte ich zwar immer wieder betonen, es seien Persi­flagen auf bürgerliche Kleider, auf Vierzigerjahre-Kleider – aber das nützte nichts. Es war gepflegt, und das war damals schwierig zu verkaufen.

EB: Genau dies meine ich: Das Gepflegtsein passte nicht in die Zeit.

SZ: Aber es war in der Mode angesagt. Ungepflegtsein kann auch Mode sein, aber wie alles nur eine Zeitlang. Die Feministinnen und Linken fühlten sich gleich doppelt angegriffen: Sie waren nicht nur ungepflegt, sondern jetzt auch noch unmodisch. Sie wurden stinksauer, weil sie dachten, es sei ein Rückfall in das bürgerliche Leben, in die bürgerliche Ästhetik. Aber die Bürger trugen damals Acryl und sahen aus wie Burt Reynolds. Wir hatten andere Vorstellungen, und das war anstrengend. Wir machten beispielsweise einen Bikini mit Metallbügeln, das war unmöglich, weil alle oben ohne waren. Du kannst dir den Kampf vorstellen, den du austragen musst, wenn du findest, das sei schöner, in einer Zeit, in der niemand einen BH trug.

MJ: Was hat sich in den vierzig Jahren, in denen du in der Mode tätig bist, verändert?

SZ: Das Business verändert haben H & M und Zara – und zwar grundsätzlich. Das ist die brisanteste Veränderung, alles andere tritt dagegen zurück, weil Kleider noch nie so billig, noch nie so geschmackvoll waren. Es ist ganz übel, aber die Sachen sind teilweise sehr, sehr schön: sogar reines Material, sogar recht gut genäht – gerade wenn man bedenkt, dass teure Prêt-à-porter-Teile auch nicht sonderlich gut verarbeitet sind. Der Unterschied ist mittlerweile gering. Ich habe Unterwäsche von H & M, die hält ewig. Das steht in einem engen Zusammenhang mit einer weiteren erstaunlichen Entwicklung: Die Berichte über die Modenschauen erfolgen so schnell und gründlich, dass die Kopien zur gleichen Zeit im H & M erscheinen wie die Originale in den Prêt-à-porter-Läden selbst. Heute kannst du die Bilder gleich nach der Schau runterladen, während früher die Frauen an den Eingängen der Schauen gefilzt wurden, denn sie durften nicht mal zeichnen. Es war damals ein sehr geheimniskrämerisches Metier. Heute kannst du das Video runterladen und mit guten Modelistinnen die Kleider innerhalb von dreissig Tagen kopieren.

MJ: Wie spürst du diesen Unterschied?

SZ: Für mich ist es bequem. Ich habe jetzt mehr Zeit, da ich bereits im März weiss, wie es ungefähr laufen wird, und kann mir dann bis September noch einiges einfallen lassen.

EB: Einerseits hat H & M Mode für viele Menschen erschwinglich gemacht, die vorher keinen Zugang zu Mode hatten. Ist es nun aber so, dass Leute, die früher ein teures Teil gekauft hätten, heute etwas Billiges von H & M kaufen und somit ein Markt wegbricht?

SZ: Viele meiner Kundinnen kaufen auch bei H & M ein, denn wenn dort ein Parka für 79 Franken hängt und die anderen Geschäfte noch keinen haben – weshalb sollen sie den Parka dann nicht kaufen, selbst wenn er vielleicht nicht so toll verarbeitet ist? Entscheidend ist, dass H & M ihn schon hat, während die anderen ihn noch nicht haben. Das machen selbst ganz bewusste Kundinnen, die sagen, sie möchten das eigentlich nicht unterstützen.

EB: Du sagst also, dass es keine Konkurrenz ist.

SZ: Ich weiss es nicht. Ich glaube, heute machen die Leute alles: Sie kaufen Schuhe für 1000  Franken, aber zugleich Gummischuhe auf dem Markt für 8  Franken und ziehen sie ebenso oft an. Leute, die sich für Mode interessieren, halten überall Ausschau. Andererseits stellen meine Kundinnen eine Nische dar. Es war wohl noch nie so einfach, in einem sehr kleinen Sektor zu arbeiten, wie heute. Man muss nicht mehr alles abdecken, wenn man kein Grossunternehmen ist. Wer heute eine Kollektion macht wie Dolce & Gabbana, der muss diverseste Stile abdecken, denn sie wird von Hongkong über Sydney bis nach Darmstadt verkauft. Von Blumen bis Geometrie muss er alles bieten. Ich kann die Kollektionen teilweise nicht unterscheiden, weil die grossen Designer eine so grosse Bandbreite anbieten müssen.

MJ: Wenn wir schon bei der Bandbreite sind: Wie lange verwendest du einen Schnitt?

SZ: Neue Schnitte, die ich für die vorgängige Saison für viel Geld entwickelt habe, versuche ich für die nächste zu adaptieren, was manchmal schwierig ist, manchmal muss ich eine Saison überspringen. Diese drei, vier Formen machen etwa ein Drittel der neuen Kollektion aus. Dazu kommen ganz neue Formen und die Basics. Alle drei Saisons muss man die Basisteile überprüfen. Wenn beispielsweise die Taille wegfällt, kommt die Geometrie ins Spiel. Die Silhouette wird von der Mode vorgegeben. Von weit zu schmal und wieder zurück. Jede Generation wiederholt diesen Turnus. Die 1980er-Geburtenjahrgänge gehen zurück zur Mode der Achtziger, dann zu jener der Siebziger, dann werden die Sechziger- und Fünfzigerjahre wiederentdeckt. Somit wiederholt sich alle zehn Jahre ein ähnlicher Ablauf – das Entdecken der Zeit, in die man geboren wurde, und dann die Folge dieser Revivals. Das macht jede Generation von Neuem – da muss man den Mund halten und kann nicht einfach sagen: «Haben wir alles auch schon gemacht.» Was auch nicht stimmte, denn die Optik und die Kombinationen sind jedes Mal neu und erzeugen jeweils eine neue Silhouette.

EB: Man könnte von einer Art Pastiche sprechen: Es wird etwas erinnert, aber das, was erinnert wird, wird neu zusammengesetzt.

MJ: Das liegt in der Natur der Sache: In der westlichen Mode gibt es eine definierte Anzahl von Formen, die Ende des 18., Anfang des 19.  Jahrhunderts mehr oder weniger installiert war. Und darin gibt es nur eine beschränkte Anzahl von Varianten. Viele wirkliche Neuheiten gibt es in der Modegeschichte der Neuzeit nicht.

EB: Insofern hat Barbara Vinken recht: Bis vor hundert Jahren haben vor allem Männer ihre repräsentativen Kleider verändert, bei den Frauen bleiben sie teilweise Jahrhunderte lang gleich.

MJ: In der Renaissance und im Barock waren die Männer die Pfauen, im Rokoko wurden dann Männchen wie Weibchen bunt.

EB: Und dann werden die Männer immer grauer, brauner und schwärzer. Und die Frauen beginnen, Farbe zu tragen und Fleisch zu zeigen.

SZ: Wenn man die Unterschicht betrachtet, dann hat diese immer braune und beige Kleider getragen, die mit Bändern zusammengehalten wurden, für Männer und Frauen relativ gleich. Mode war lange eine Oberschichtenangelegenheit.

EB: Das ist auch der Grund, weshalb als Männer verkleidete Frauen im 17. und 18. Jahrhundert so leicht durchgegangen sind. Die Kleider waren damals weit geschnitten, deswegen konnte man nicht so leicht sehen, ob jemand ein Mann oder eine Frau war. In der Gesellschaftsschicht, aus der diese Frauen kamen, war der Geschlechterunterschied visuell nicht so markiert wie im Bürgertum, wo im beginnenden 19. Jahrhundert diese grosse Differenz einzieht, dass Männer arbeiten und Frauen zu Hause bleiben.

MJ: Anfang des 19. Jahrhunderts trug frau diese einfachen, fallenden Empirekleider, am Ende des 19. Jahrhunderts tragen die Frauen wieder Korsagen wie im 18. Jahrhundert, was eigentlich überwunden schien.

SZ: Sobald es um schnittbetonte Kleider ging, wurden Männerfabrikationsvorlagen verwendet. Selbst eine Korsage, könnte ich mir vorstellen, ist aus einem Harnisch entstanden. Frauenkleider waren oft nicht schnittbetont, sondern wurden abgeformt oder eingereiht, sobald aber Mäntel und Jacken dazukamen, war die Vorlage männlich.

EB: Um den weiblichen Körper wird Stoff drapiert, um ihn zu betonen oder zu verstecken, aber den eigent­lichen gestalterischen Willen findet man eher bei den männlichen, uniforminspirierten Kleidungsstücken.

SZ: Es gibt die Geschichte von Jacques Fath, der nicht schneidern konnte, keine Schnittmuster zeichnen konnte. Er hat auf der Büste nur abgeformt. Er nahm Stoff, drapierte, verdrehte und fältelte ihn, dann musste die Modelistin den drapierten Stoff auf die Büste heften, mit Stichen fixieren, und diese Skulptur wurde auf Papier gelegt und nachempfunden. Das ist eine ganz andere Technik als jene, die in der Männermode zur Anwendung kommt – genauso mühsam wie die Geometrie einer Uniform, aber anders. Diese Attitude der Couture wird heute als Dekoration inszeniert und muss in eine tragfähige Form gebracht werden, die man waschen und bügeln kann. Es gibt einige Formen, die diesen Couture-Effekt auf eine einfache Weise hinkriegen. Sonst sind es meist Applikationen, bei denen man aufpassen muss, weil sie unnütz sind, aber sie können einer Form den letzten Schliff geben. Dann nimmt man das in Kauf, weil es interessant ist. Heute kann man das Drapement mit Elaste oder Stretch erreichen. Es ist auch viel bequemer – man zieht es über den Kopf, und wenn es zurückspringt ist, ist es drapiert und gefältelt. Es ist heute sehr viel einfacher, solche Effekte zu erzielen, die geheimnisvoll und interessant sind.

MJ: Das Drapement ist eine Weise, Weiblichkeit zu inszenieren, die eine lange Tradition hat. Was mich zur Frage bringt: Wie haben sich in den vierzig Jahren Thema die Frauen verändert, und wie hat sich deine Mode mit den Frauen verändert?

SZ: Ein sehr begehrter, teurer, hipper Friseur machte mich sehr früh, vor etwa zwanzig Jahren, darauf aufmerksam, meine Kleider seien zu starr, zu «angezogen», die Frauen würden heute ihr Geld und ihre Zeit lieber zeigen, indem sie Klamotten trügen, die ihren Trainingskleidern ähneln würden. Das ging mir nie mehr aus dem Kopf, weil ich das für eine sehr scharfe Beobachtung hielt – nicht, dass ich deswegen mein Konzept grundsätzlich geändert hätte, aber ich trug dem Rechnung. Das richtige Angezogensein – mit einem Kostüm, einer gebügelten Seidenbluse, Strümpfen, schönen Schuhen und einem Mantel – ist heute nur noch eine Extremform, etwa im Business, wo frau sich männergleich kleiden muss. Immer mehr Frauen begannen, Jeans zu tragen, T-Shirts, weiche, dehnbare Materialien, cozy stuff, den man früher nur zu Hause trug. Weil sie wollen, dass man ihre Fitnessbemühungen sieht, sieht, dass sie hungrig durchs Leben schleichen. Seit Naomi Wolf wissen wir, dass Frauen schlecht gelaunt sind, weil sie den ganzen Tag lang immer leicht hungern.

EB: Ich kann mich erinnern, wie in den Achtzigerjahren auch Frauen, die keine Tänzerinnen waren, mit accoutrements wie Ballettschuhen rumzulaufen begannen. Das war die Zeit, als wir anfingen, Legwarmers und Leotards zu tragen. Kleidung aus dem Fitnessbereich wurde plötzlich auch tagsüber getragen. Das geht nun immer weiter, teilweise kommt das aus der Ghettokultur. Es ist heute schick, Hoodies und Sweatpants zu tragen. Dieses Phänomen hat auch damit zu tun, dass die Stars sich so zu kleiden begannen. Die Stars waren früher diejenigen, die wirklich angezogen waren, in Kostümen und eng anliegenden Kleidern. Heute siehst du, wie die Stars in Sweatpants und mit einer Wasserflasche in der Hand aus dem Flugzeug steigen. Das verleiht dem ganzen Coolness. Man will also einerseits das body toning zeigen und andererseits so cool wie die Stars sein.

MJ: Auch bei den weiblichen Stars wurde Sportlichkeit immer wichtiger, ein Achtzigerjahre-Phänomen, das mit Jane Fonda und Aerobics begann.

SZ: Früher war es kein Thema, dass Frauen sich zwei- bis dreimal pro Woche körperlich betätigen und ins Fitnessstudio gehen. Alle die Mädchen, die in der Schweiz Profi-Sport gemacht haben, waren nie elegante Frauen.

MJ: Früher trieben Frauen allenfalls Gymnastik, die mittlerweile verschwunden ist, ausser vielleicht im Altersheim.

SZ: Bis in die Sechzigerjahre trugen die meisten Frauen, gerade wenn sie einen grossen Busen hatten, Grösse 42 und 44. Das ist mittlerweile undenkbar, heute herrscht der Shape-Druck.

EB: In den Siebzigerjahren begannen Frauen, Aktenkoffer zu tragen, ein gewisser professional style etablierte sich, mit schwarzen oder dunklen Anzügen und Hosen. Vorher hatten berufstätige Frauen meist ein weiblich konnotiertes Auftreten – sie trugen eine Spitzenbluse, eine Seidenschleife, Perlen, Gold, komplizierte Frisuren, denn dies galt als professionell. In den Siebzigerjahren, als Frauen zum ersten Mal in Massen in die corporate world eindrangen, begannen sie, Hosen und flache Schuhe zu tragen. Das power dressing etablierte sich.

SZ: In New York trugen die Frauen Joggingschuhe auf dem Arbeitsweg und zogen sie aus, bevor sie das Büro betraten.

EB: Den Beginn kann man genau datieren – es gab in den Siebzigerjahren einen Tag, als die U-Bahn ausfiel und alle Frauen zu Fuss zur Wall Street mussten.

SZ: Das war eine Massenbewegung. Als Fitness aktuell wurde, wurden auch die Frisuren praktischer – zusammengebundene Haare oder Kurzhaarfrisuren. Die Haare wurden nicht mehr gelegt, die Bigoudis verschwanden, es wurde nur noch mit der Rundbürste geföhnt. Sich die Haare jeden Tag zu waschen war ein Novum, vorher wurden die Haare allenfalls einmal pro Woche gewaschen. Meine Mutter wusch sich die Haare höchstens alle zwei Wochen. Dann kam das tägliche Haarewaschen, das auch vom Fitness herrührt, das tägliche Duschen. Das sind einschneidende Veränderungen. Es muss alles praktisch werden und schnell gehen. Bügeln ist aufwendig, deswegen werden T-Shirts statt Blusen getragen. Das ist die grösste Veränderung, neben der sehr interessanten Billigmode, von der wir schon gesprochen haben. Ich habe ganz neue Tragegewohnheiten angenommen. Wenn etwas ganz Neues aufkommt, kaufe ich oft eine Billigversion, um das Tragegefühl kennenzulernen.

EB: Gib uns mal ein Beispiel.

SZ: Elastische Spitze. Ich hatte Lyoner Spitze eingekauft, sehr schöne grobe Baumwollspitze für ein kleines Oberteil und einen engen Jupe. Ich habe dann bei H & M ein Oberteil und einen Jupe aus elastischer Spitze gekauft, um zu sehen, ob ich diesen Abendlook ertrage oder ob es schlicht billig wirkt. Ich merkte dabei, dass gerade hier die Qualität entscheidend ist, dass meine Spitze nie diesen billigen Touch hat, weil sie nicht dehnbar ist. Oder die ersten Jeans mit Stretch habe ich auch bei H & M gekauft vor zehn oder 15 Jahren, bevor die grossen Jeansmarken es nötig fanden, solche zu lancieren.

MJ: Seit wann hast du Kleider aus Denim in deinen Kollektionen?

SZ: Immer schon. Früher war es allerdings sehr schwierig, Denim zu kaufen, das war abgeschottet für die Konfektionäre. Zudem war er meistens sehr hart, was Probleme beim Verarbeiten bereitete. Aber ich fand immer einen drillichartigen Matratzenstoff, der aussah wie Jeans. Ich fand Denim immer einen guten Bruch in unserem Konzept – die klassisch-moderne Linie braucht diese Rauheit. Ein Veston mit einer schönen Bluse funktioniert sehr gut mit einer Arbeiterjeans.

EB: In den späten Siebzigerjahren besuchte ich eine Sommerschule für angehende Verlagsfachleute, wo wir uns neue Dinge ausdenken sollten. Ich schlug vor, schöne Röcke mit groben, grossen Stiefeln zu kombinieren. Ich fiel fast durch, weil das alle unmöglich fanden. Und zehn Jahre später, angeregt von Punk, wurden schwere Lederjacken mit schönen Seiden­jupes kombiniert, ein elegantes Kleid mit Stiefeln. Es wurde gerade mit diesen Kontrasten gearbeitet.Dies macht für mich den Charme von vielen deiner Kreationen aus, ich habe dafür das Denkbild des frequency hopping in meinem Essay gebraucht, weil bei dir immer mehrere Frequenzen gleichzeitig schwingen. Du arbeitest viel mit Zitaten, die du dann neu kombinierst. Bei der Eisenhower-Jacke, die ich bei dir kaufte, ist beispielsweise das rosa Futter zu sehen. Du spielst mit Codes. Das hat für mich mit der Kultur der Siebziger- und Achtzigerjahre zu tun – beispielsweise der frühen Cindy Sherman. Ab Mitte der Siebziger kommt ein gewisses Verständnis von Postmoderne ins Spiel – high and low, alles lässt sich mit allem verbinden. Das war zumindest anfänglich auch eine politische Geste: Wir halten uns nicht mehr an die Codes.

SZ: Das ist der Punkt – die politische Geste und das leicht akademische Vorgehen. Ich bin keine Modeschöpferin, ich habe mich immer als Stylistin verstanden. Armani und Ralph Lauren sind Stylisten, für mich ist auch Gaultier ein Stylist.

EB: Worin liegt für dich der Unterschied?

SZ: Stylisten gehen durch die Zeit und sammeln. Es sind Aneigner, Mischler, neugierige Menschen, sie betreiben Spurensicherung und werfen alles über den Haufen. Ich bin keine Drapeuse. Ich verstehe mich als Spielerin. Ich mache einen Mix und präsentiere dann die Essenz dieses Mix.

MJ: Du betreibst Forschung und kombinierst deren Resultate. Wie würdest du Ursula charakterisieren?

SZ: Sie ist für mich eine klassischere Entwerferin, ich verstehe sie eher als Modeschöpferin. Wobei auch sie viele Zitate verwendete, viele Bücher las, sehr bewandert ist.

EB: Ich möchte noch einen anderen Punkt ins Spiel bringen, der meines Erachtens für Sissi sehr wesentlich ist. Sissi kennt sich nicht nur in der Kunstwelt gut aus und greift einen gewissen Gestus für die Mode auf, der in der Kunst der Sechziger-, Siebziger-, Achtzigerjahre aufkommt. Sie ist auch eine grosse Leserin, und zwar nicht nur von Belletristik, sondern auch von Theorie. Ich glaube, dass für eine so definierte Stylistin Philosophie wichtig ist. In den Siebziger- und Achtzigerjahren kommt die Idee auf, dass Kulturtheorie auch in die Praxis umgesetzt wird. Musterbeispiele sind Schriftsteller, die Literaturtheorie lesen und dies in ihre belletristischen Werke einfliessen lassen. Du guckst dir alle möglichen Dinge an und würfelst sie hinterher neu zusammen, wirfst sie über den Haufen. Da steckt meines Erachtens auch eine Kulturtheorie dahinter, eine philosophische Haltung. Kannst du uns erzählen, welche Literatur und Philosophie dich besonders interessiert?

SZ: Ich lese viel zu viel, ich kann daher eigentlich immer nur gerade über den Moment sprechen. Jüngst las ich Michail Bulgakows Der Meister und Margarita wieder und merkte, dass dies der Grundstock von Haruki Murakami ist.

EB: Hegel, Freud, Marx, Kant, Simmel?

SZ: Wir haben eher Herbert Marcuse gelesen, Wilhelm Reich, Hans-Peter Dürr natürlich auch. Diese Bücher hat man mit dem Bleistift gelesen, ich arbeitete damals auch in der Redaktion eines linken Magazins. Wir hielten ständig Sitzungen ab. Ich bin eine alte Sozialistin. Wir mussten alles lesen, was in dieser Zeit irgendwie aktuell war.

EB: Ich finde es wichtig, hervorzuheben, dass du aus einer Zeit kommst, als man Theorie, soziologische wie psy­chologische, einfach lesen musste, Spass hin oder her.

SZ: Ich gehöre zur Kursbuch-Generation, diese Mischung war für uns prägend.

EB: Hans Magnus Enzensberger nannte es auch Kursbuch, weil es in der Tat genau dies sein sollte. Es war eine Zeit, in der theoretische Schriften als kursangebende verstanden wurden. Dies wäre heute eher schwer zu vermitteln.

SZ: Texte von Leuten wie Enzensberger, Peter Schneider, Dürr waren sprachlich sehr viel beköm­m­licher als spätere theoretische Texte. Es waren Essays, es waren Beobachtungen, die ewigen Gespräche mit den Taxichauffeuren waren dort schon drin. Eine gute Mischung. Es wirkt vielleicht schwätzerisch und grössenwahnsinnig, aber alle haben sich mit diesen Dingen auseinandergesetzt. Es war die Zeit, als die zeitgenössische Kunst mit Bice Curiger in solchen Nischen aufzutauchen begann. Es war die Zeit, als die Mode ein Teil des intelligenten Lebens wurde, nicht mehr nur eine Form- und Standardsache war, sondern spielerisch wurde wie die Musik und die zeitgenössische Kunst.

MJ: Die Popkultur war dabei ein wesentliches Element, weil du hier plötzlich diese modischen Rollenvorbilder hattest. Popkultur ist wesentlich verantwortlich dafür, wie Menschen angezogen sind.

SZ: Ossie Clark und Mary Quant waren Modeschöpfer, die Kunst sammelten und mit Musikern verkehrten. Das war alles vernetzt. Es gab diesen Niveauunterschied nicht mehr: Ich musste mich nicht schämen, dass ich Mode machte, wenn ich mit Architekten, Kunsthistorikern und Musikern verkehrte. Auch die Musiker mussten sich nicht schämen, wenn sie mit Kunsthistorikern redeten – es war eine neue Kultur. Es gab neue Bücher, neue Bilder, neue Musik, neue Kleider. Alles, was sich irgendwie etabliert hatte, wurde neu überdacht. In den Siebzigerjahren war ich oft in Italien, wo sehr viel geschah. Die Gymnasien wurden geöffnet. Plötzlich gingen Tausende Kinder ins Gymnasium. Vorher betrug die Schulpflicht in Italien nur fünf Jahre. In Italien geschah damals ein ganz seltsames Wirtschaftswunder – es wurde zugleich amerikanisiert und war sehr links. Für mich war Italien eine Art Utopie. Es gab kleine Universitäten, an denen sehr viele junge Professoren unterrichteten, die ich mir als Lehrer gewünscht hätte. Dann gab es den Verleger Giangiacomo Feltrinelli, den man nicht unterschätzen darf. Und es gab Buchläden, wie ich sie nur aus London kannte. Die Schweiz war damals eher harzig und langsam. Deutschland kannte ich nicht. Für mich war Italien in den Siebzi­ger- und Achtzigerjahren Avantgarde. So begann auch meine Karriere, weil ich dort sah, dass ein anderes Leben und Arbeiten möglich war. Diese jungen Leute waren Dozenten, haben Läden eröffnet, Labels gegründet – das alles war möglich. Nach diesem Aufbruch konnten wir uns professionalisieren und von der eigenen Arbeit leben. Der Marsch durch die Insti­tutionen begann, in Italien und Frankreich, später auch in Deutschland – nur bei uns nicht, da dauerte es nochmals zehn Jahre.

EB: Man kann sagen, dass du aus einer Zeit kommst, die Grenzverflüssigungen möglich machte wie vorher die Zwanzigerjahre.

MJ: Diese Verflüssigungen werden aber heute wieder rückgängig gemacht, die Geschlechterrollen beispielsweise verfestigen sich wieder.

SZ: Es geschieht heute etwas sehr Eigenartiges, das ich mit grossem Vergnügen beobachte und das es so noch nie zuvor gab, ausser vielleicht in der Zeit vor dem «Kind» und dem «Jugendlichen», als es nur junge Erwachsene gab. In der Zeit, von der wir gerade sprachen, gaben mit einem Mal junge Menschen den Ton an, heute geschieht etwas ganz anderes, das man auch an der Mode ablesen kann. Der Trend Nummer eins sind die Outfits der Erwachsenen, eher aus der Oberschicht, mit einem ganz leichten Freizeit-Touch. So wie ich mich nie getraut hätte als Zwanzigjährige, eine Banklehre zu machen, gehört das heute zu den Traumberufen wie früher die Hostesse. Die Jungen haben heute einen unglaublich geschulten Geschmack, sie kennen die ganz kleinen Signale der Preisunterschiede. Etwas Dunkelblaues ist nicht einfach etwas Dunkelblaues. Entscheidend ist, wie es abgesteppt ist, wie abgetragen es wirkt, ob es eher ein wenig lose oder eng ist. Es gibt in diesem klassisch-modernen Stil dermassen viele raffinierte kleine Zeichen, die unterschieden werden. Mode ist heute ein erwachsener Look, noch nie war der Modetrend so stark der Look der arbeitenden, erfolgreichen Bevölkerung.

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